Dienstag, 16. Februar 2010

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Als Kind war ich schon Anatom. Ich schnitt dem Teddy die Haare ab, weil ich glaubte, dass sie nachwüchsen. Ich spritzte dem Kaktus Seifenlauge unter die Stacheln, nur um zu sehen, was passieren würde. Die Haare wuchsen nicht nach. Der Kaktus veränderte irgendwann seine Farbe. Zu dem Zeitpunkt hatte er aber schon monatelang ohne Wasser auskommen müssen und Nächte im Frost überstehen. Jan und Astrid hatten anderes zu tun. Ich beobachtete sie. Aber sie wollten mich nicht im Zimmer haben. Das war schlecht für meine Liebe, so wie ich sie sah. Über Liebe sprachen Mutter und Vater nicht. Hatte ich sie einander lieben sehen? Wenn in Wut außer sich geraten Liebe ist, dann habe ich sie sich lieben hören. Ich wollte aber sehen. Genau sehen. Die Liebe sehen. Die Liebe sehen wurde für mich zur Liebe. Was war das nur? Liebe wurde für mich zur Anatomie. Die Welt war ein Körper, den ich erforschen wollte. Ich wollte die Welt lieben. Doch zumeist ließ die mich allein. Deshalb lernte ich wenig über die Liebe und die Welt. Was ich in Erfahrung bringen konnte, vergesse ich jetzt. Sie erhält wieder einen Märchenkörper. Sie wird wieder zu einem Kaktus, der sich ins violette verfärbt. Zu einem Teddy, dem die Haare nicht nachwachsen wollen.

Mutter sagte, als Kind hätte ich so schön geredet. Später sagte sie, ich würde nie etwas erzählen. Noch später, bei mir dürfe man nichts sagen. An mehr kann ich mich momentan nicht erinnern.

Ich sezierte und fand die Ordnung. Doch wie der Anatom sich weigert, die Seele in eine dieser Metallschalen zu legen und sie der Kommissarin zu zeigen und ihr seine Fragen zu beantworten, so kann die Ordnung nicht offen gelegt werden. Alles, was dadurch geordnet wurde, würde verschwinden. Die Seele würde der Kommissarin letzte Frage beantworten und sie verlöre ihren Job. Sie wäre von nun an überflüssig. Und der Anatom müsste selbst zum Mörder werden, um seiner Berufung weiterhin frönen zu können. Deshalb wurde und werde ich die Kommissarin nie mehr los, die je und je fragte und fragt: Was ist da geschehen. Fragte und fragt es mich zu meinem Glück. Dadurch bleibe ich in Kontakt mit der Liebe.


Die Kost der Nadelspitzen 8 © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )

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