Dienstag, 16. Februar 2010

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Und Frau Kommissarin, ich bleibe dabei, es war definitiv das Haus der Ofenschmidts, das ich angezündet habe. Es war nicht das Haus meiner Eltern. Und wenn Sie mich bis in alle Ewigkeit in diesem Heim festhalten wollen. Mit Ihren unendlichen Verhören. Und hören Sie damit auf, dass überhaupt kein Haus abgebrannt sei. Das stimmt einfach nicht. Was wissen Sie schon? Was wissen Sie denn schon, Frau Kommissarin? Ein für alle Mal, ich habe es getan. Der Befund der Untersuchung der Leiche meiner Kindheit lässt keinen anderen Schluss zu. Zweifeln Sie etwa an meiner Kompetenz, Frau Kommissarin. Das sollten Sie nicht! Das sollten Sie nun wirklich nicht. Sonst zwingen Sie mich zu Maßnahmen. Ich bin zwar alt, aber ich bin mit meinem Rechtsmedizinerlatein noch nicht am Ende.

Frau Kommissarin, ich sage Ihnen etwas. Ich habe ein Misstrauen. Es erwuchs aus einem Vertrauen. Aus einem mir eigentümlichen, eingewachsenen Vertrauen. Eingewachsen wir ein Zehennagel. Es schmerzt inzwischen. Deshalb wurde es zu einem Misstrauen. Ich glaubte den Leuten, wenn sie mir etwas sagten. Denn ich sagte nicht viel. Ich behielt das meiste für mich. Ich dachte, wenn es aus mir heraus soll, dann sollte es auch stimmen. Dann sollte ich mich schon daran halten. Dann will ich das zumindest versuchen. Ich weiß, auch ich log. Ich weiß, auch ich wusste nicht, was ich wollte. Und ich sagte so unendlich viel. Soviel Falsches. Soviel Uneinlösbares. Aber es gab ein paar Dinge, die waren mir wie Direktiven. Daran wollte ich mich halten. Und jetzt sagen Sie mir nicht, daher käme mein Hass, meine Abneigung, mein Runter-machen-wollen. Weil ich meinen eigenen Sermon nicht einhalten konnte. Weil ich verlogen war. Natürlich bin ich das. Ich bin doch noch nicht am Ende. Aber ich kenne welche, die sagen bewusst was, glauben sogar daran. Aber nur an die Worte. Sie legen diesen Worten eine Bedeutung zu. Sie schwelgen darin. Nicht aus Unwissenheit. Nicht aus Scheinheiligkeit. Nein. Nur weil sie kein anderes Schwelgen kennen. Doch, Frau Kommissarin, diese Leute wissen es tatsächlich besser. Sie handeln ganz anders. Und wissen auch, dass sie ganz anders handeln. Als predigten sie den Vegetarismus u. fräßen doch den lieben langen Tag nichts als Fleisch. Das geht mir nicht in den Kopf. Davon kriege ich Kopfschmerzen. Und Magenschmerzen. Frau Kommissarin. Würden sie doch das Fleisch als das einzig Wahre preisen. Ich bewunderte sie, auch wenn ich so oft keins esse. Oder würden sie welche Diät auch immer als die einzig richtige preisen. Ich würde ihre Füße küssen u. mich natürlich nicht an diese Diät halten. Es wäre ja nicht die meinige. Ich würde anderes sagen. Ich sage anderes, Frau Kommissarin. Sie sitzen da u. starren mich an, Frau Kommissarin. Und ich kann mich des Verdachtes nicht erwehren, dass Sie leider auch zu diesen Menschen gehören. Dass Sie auch das eine sagen u. das andere machen. Sie schweigen. Nun gut. Schweigen ist auch beredt. Da haben wir es doch schon. Sie reden ununterbrochen in Ihrem Schweigen. Sie machen ununterbrochen Vorwürfe in Ihrem Schweigen. Dabei wollten Sie doch neutral bleiben. Dabei wollten Sie doch ermitteln. Merken Sie denn nicht, dass man so nicht ermittelt. Ihr Urteil steht doch schon fest. Und Sie werden nicht einmal an dieses Urteil glauben. Ihnen geht es doch nur darum, dass dieses Urteil manifest wird. Dass es seine Konsequenzen hat. Dass es umgesetzt wird. Ich habe Sie, Frau Kommissarin. Langsam durchschaue ich Sie, Frau Kommissarin. Sie sitzen da u. hören sich das ganze an u. tun so, als ob es eine Bedeutung habe, dabei hat es keine Bedeutung für Sie. Sie haben doch längst Ihren Verdacht als die Wahrheit festgelegt. Nicht mal nur als Ihre Wahrheit, sondern als die Wahrheit schlechthin. Als das Allgemeine. Als das, was man denken muss. Wie man die Sache sehen muss. Wie es keine andere Möglichkeit gibt. Wie es nun einmal ist, dass sich die Erde um die Sonne dreht und der Apfel zu Boden fällt. Deshalb schweigen Sie, Frau Kommissarin. Weil es Ihnen zu viel ist, zu reden. Sie haben ja schon alles gesagt. Sie haben ja die Beweise für sich schon interpretiert. Sie wollen ein Exempel statuieren. Sie wollen, geben Sie es doch zu, an mir ein Exempel statuieren. Sie verurteilen mich. Sie verurteilen an mir das, was sie selbst sind. Sie sagen, ja, so kann es gehen, so ist es er und nicht ich. Und wenn er es ist, kann ich es nicht sein. Dann bin ich anders. Dann bin ich so, wie ich sein sollte; wie man sein sollte. Wie es sich gehört hätte, dass irgendwer sein sollte. Gestehen Sie doch, Frau Kommissarin, dieser irgendwer stand Ihnen nah u. er machte nicht, was sie wollten. Sie sind beleidigt, Frau Kommissarin, u. ich halte diese Beleidigung lebendig. Deshalb verurteilen Sie mich. Deshalb haben Sie mich verhört. Verhören Sie mich fast ein Leben lang, Frau Kommissarin. Ich kenne solche wie Sie. Ja, ich kenne Sie nur zu gut. Deshalb bin ich Anatom geworden. Ich seziere lieber Leichen. Die sind wirklich anders. Es unterscheidet uns etwas, die Leichen u. mich. Sie und mich, Frau Kommissarin, unterscheidet nichts. Deshalb soll ich für Sie den Sündenbock spielen. Geben Sie es doch zu. Sagen Sie es doch. Sagen Sie doch endlich etwas, Sie verdammtes stures Luder. Zeigen Sie doch endlich mal ein Gefühl. Von mir aus auch Wut. Es muss ja nicht Begehren sein. Zeigen Sie doch eine Regung. Ihre Bedächtigkeit und Kälte regt mich auf. Wie, was? Sie wüssten, dass Sie ein Schwein sind? Ach, meine Liebe, Sie sind kein Schwein. Sie haben nicht die Dreistigkeit, sich im Dreck zu suhlen. Sie haben noch nicht einmal den Mut, vor Freude zu grunzen. Ja, heimlich, da grunzen Sie. Ich weiß, Sie steigen mit Besoffenen ins Bett, wohl wissend, dass die sich an nichts mehr erinnern werden. Oder mit solchen, die niemand ernst nimmt. Die Sie in erster Linie nicht ernst nehmen. Sie nehmen niemanden ernst. Sie nehmen noch nicht mal sich selbst ernst. Deshalb glauben Sie ja an Ihre Worte und handeln aber nicht danach. Denn im Handeln zeigt sich der wahre Ernst. Übrigens auch der wahre Humor. Deshalb kann ich nicht einmal über Sie lachen, Frau Kommissarin. Sie sind ein Witzfigur, die nicht zum Lachen ist. Sie würden mich, wenn ich lache, sofort erschießen lassen. Auf die langsame Art. Nicht wahr. Sie würden Missachtung als Patrone in Ihre Waffe einlegen. Missachtung in der Trommel. Sie drehen die Trommel. Sie legen an. Sie schießen. Und puff. Sie sind wie nicht gewesen. Ich bin für Sie wie nicht gewesen. Sie gefühlskaltes Ding. Sie selbst sind diese Patrone. Sie sind der Revolver. Frau Kommissarin, ich habe so große Stücke auf Sie gehalten. Ich habe Sie gar geliebt. Was hätten wir für Abende miteinander verbringen können, da wir doch quasi im selben Milieu arbeiten. Wir hätten Gespräche führen können. Diskussionen. Wir hätten uns in den Armen liegen können. Aber Sie wollen nicht. Sagen Sie nicht, ich wolle nicht. Sagen Sie nicht, ich würde nur Leichen akzeptieren. Plüschtiere. Mit denen ich meine seltsamen Untersuchungen machen könnte. Sagen Sie das nicht. Sie sagen es mit Ihrem Schweigen. Sie machen nicht die geringste Anstalt, etwas zu sagen. Sie glotzen nur. Immer nur dieses Glotzen. Diese Mahnwache. Diese Verleugnung dessen, was wir sind. Ich hasse Sie. Ich hasse Sie, Frau Kommissarin. Sie waren nicht da, um mir zu helfen. Sie hatten nie die Absicht, mit mir zusammen zu arbeiten. Ich habe an diese Zusammenarbeit geglaubt. Ich habe geglaubt, mit Ihnen komme ich den Dingen auf den Grund. Mit Ihnen zusammen bin ich wer. Mit Ihnen zusammen wäre ich nicht nur mit Leichen umgeben. Ich glaube fast, niemand lebt. Ich glaube fast, ich lebe nicht. Also, was wollen Sie. Ich habe meine Strafe schon. Ich habe die Todesstrafe schon. Sie können mich nicht mehr töten, Sie lebloses Ding. Sie Tote, Sie. Sollte ich Sie sezieren. Ja, ich könnte Sie sezieren. Aber was würde ich finden? Falsche große Worte. Aber keine Wärme mehr. Ich würde konstatieren, dass Sie tot sind. Dass Sie ein falsches Leben führen. Ein Leben, das Sie genauso hinausposaunen wie Ihre Worte. Wie Ihre Forderungen, an die Sie sich nicht halten. So halten Sie sich nicht an Ihr Leben. Sie halten sich einfach nicht an Ihr Leben. Ich habe Ihnen so lange dabei assistiert. In der Hoffnung, Ihre Worte sprächen wahr u. wir fänden das, was wir lebten, in uns. Aber ich habe mich getäuscht. Sie haben mich getäuscht. Sie werden sagen, ich hätte Sie auch getäuscht. Was hätte ich anderes tun können? Ich hatte Ihnen ja geglaubt. Ich dachte, es wäre ernst. Dabei war es nur Spiel. Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie spielen wollen. Ich hätte so gerne mit Ihnen gespielt. Noch nie hat jemand mit mir gespielt. Was schauen Sie? Ich weiß, ich bin wehleidig. Aber jetzt habe ich auch keine Lust mehr zu spielen. Nicht mit Ihnen. Sie sind doch die einzige wirkliche Leiche, die ich je gesehen habe. Wenigstens das. Wenigstens das eine, dass Sie eine Leiche sind. Jetzt weiß ich, ich habe genug von Leichen. Andererseits, danke schön, dank Ihnen recht schön, Sie dumme Kuh, dass Sie gezeigt haben, dass ich meinen Beruf verfehlt habe. Dass ich nicht hätte Anatom werden sollen. Dass ich in Wirklichkeit in jedem Schnitt, den ich in die Leichen machte, das Leben gesucht habe. Schauen Sie, zu welchen Rührseligkeiten und Plattitüden Sie mich bringen. Sie Leiche, Sie, Frau Kommissarin. Sagen Sie jetzt nicht, ich sei die Leiche. Dieses Spiel kenne ich.


Die Kost der Nadelspitzen 58 © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )

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