Dienstag, 16. Februar 2010

33

Die Territorien waren markiert. In Jans Territorium fühlte ich mich beobachtet. Auch in Winterkleidung nackt. Ich konnte mich nirgends verstecken. Am liebsten wäre ich unsichtbar anwesend gewesen. Oder, verzeihen Sie den Aberwitz, Frau Kommissarin, abwesend anwesend. Sozusagen nulldimensional oder, wie ich heute sagen würde, transliminaldimensional. Jedes Gefühl, insbesondere Körpergefühl stand in seinem Territorium unter Hausarrest. Mein Atmen war eine Tätigkeit, von der ich meinte, dass sie ihm gegenüber verräterisch oder verdächtig gelten musste. Gerade weil er nur meine Gedanken zu registrieren schien. Und die waren nun mal jämmerlich, bzw. nicht gerade unkörperlich. Auch in frühster Kindheit nicht. Schon in dieser so genannten frühsten Kindheit hielt ich, wenn niemand zugegen war, meine bestrumpften Füße unter den Wasserhahn, um durch die Nässe des Strumpfes eben diesen Fuß in seiner Form und Oberfläche zu spüren; um zu wissen, dass ich einen Fuß hatte und dass er tatsächlich zu mir gehörte. Dessen war und bin ich mir nicht sicher. Es ist nicht nur blanke Eitelkeit, wenn ich im Winter Fußabdrücke im Schnee produziere, barfuss über den eingeschneiten Rasen laufend. In Astrids Territorium entledigte ich mich, war niemand da, sofort meiner Kleider und betrachtete mich im Spiegel und fühlte mich vollkommen. Ja, Frau Kommissarin, da fehlte kein Stück und was da war, war auch meins. Es gehörte zu mir und ich war eins und eins, das sich gut fühlte. Ich war eine einzige kindliche Erektion. Das Leben eine einzige kindliche Masturbation in ihrem Territorium. Ich legte mich auf den Boden und musste nichts tun. Am liebsten wäre ich über diesem Boden geschwebt, da es die Nadelstiche des Plastikteppichs nicht gebraucht hätte, mich meiner Lebendigkeit zu vergewissern. Das Sein selbst liebkoste meine Haut und da war nichts Unanständiges. Selbst wenn Astrid da war, hatte ich keine Hemmung, mich in der Gestalt der kindlichen Erektion an diesem Sein zu reiben, bis es mir in Form eines übermütigen Lachens kam. Astrid wischte mich mit ihrem nonchalanten Drüberhinweggehen sauber. Sie ruhte in ihrer feisten Leiblichkeit wie ein Buddha, dem nichts Menschliches fremd ist. Manchmal gluckste es in ihrem Magen.

Mutter hing in der Küche eine Fotografie auf. Weiße Blumen vor blauem Himmel und blauem Meer. Sie sagte schön. Sie sagte, das sind Asphodelen und Tamarisken. Sie mochte Blumen. Ich fand die Wörter schön. Auf die Blumen selbst war ich sauer. Ich war auf alles Schöne sauer. Jeder mochte Schönes. Es musste sich nicht anstrengen. Es wurde geachtet und geliebt. Ich riss mir den Arsch auf, um nur beachtet zu werden. Das empfand ich als Schweinerei u. himmelschreiende Ungerechtigkeit. Ich zertrat alle Blumen in Mutters Garten. Sie sollte mich anschauen. Aber ich erntete nur eisiges Schweigen und gelangweilte Schläge von Vater, der deshalb von seiner Zeitung hatte aufstehen müssen.

Ich habe die schönen Gesichter von Frauen den Blumen stets vorgezogen. Aber auch da war der Neid. Erst spät, Frau Kommissarin, lernte ich, dass das Schöne das Unfreie ist. Ab diesem Moment fühlte ich keinen Neid mehr. Oder nur noch selten. Dafür aber umso heftiger. Man wird seine Süchte schließlich nie los.


Die Kost der Nadelspitzen 33 © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )

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