Dienstag, 16. Februar 2010

30

Überall war Schmerz. Der Schmerz durfte nicht sein. Ich wollte ihn nicht fühlen. Einzig erlaubte ich mir noch Bilder. Das Schauen. Ich sah sie ganz deutlich.

Jan hänselte mich wegen meines Namens. Ich flüchtete vor ihm. Wir liefen durchs ganze Haus. Ich schrie ihn an, dass er mich in Ruhe lassen solle. Ich lief ins Esszimmer. Er folgte mir um den Tisch herum. Ich ging in die Küche. Mutter sagte, wir sollten sie nicht bei der Arbeit stören. Ich lief ins Wohnzimmer. Er hinterher. Ich drohte ihm. Ich sagte ihm, dass ich mich wehren werde. Er lachte. Ich nahm das Bild vom schönen Josef und warf ihm den leeren Bilderrahmen hinterher. Das Glas bekam einen Sprung. Mir war als ob der Riss mitten durch mich hindurch ginge.

Ein anderes Mal die gleiche Geschichte. Wir waren beide ihm Bad. Mutter hatte für uns beide Wasser in die Wanne gelassen. Er fing wieder an, sich über mich lustig zu machen. Dieses Mal lief ich nicht weg. Ich duckte mich lediglich unter seine Bemerkungen hindurch. Es half nichts. Ich zog den Gürtel von meiner Hose und drohte ihm, dass ich damit zuschlagen werde. Er lachte. Ich schlug zu. Ich schlug ihm mit der Schnalle ein Loch in den Kopf. Er musste zum Arzt. Die Wunde wurde genäht. Ich wurde mit Verachtung gestraft.

Es wurde mir zum Prinzip. Ich war der gute Junge. Und als guter Junge provozierte ich. Und wenn der andere auf mein Provozieren einging, fein, dann machte ich ihn zur Sau. Problematisch war es, wenn ich jemanden mochte, dann musste ich mich zurücknehmen, mich klein machen und zufrieden stellen, bzw. den mit dem eingezogenen Schwanz, den Versager spielen, sonst hätte ich ihn umgebracht. Oder sie. Nur Vater und Mutter wollten außer wenigen Malen sich nicht provozieren lassen. Sie wollten nicht und wollten mir nicht die Möglichkeit geben, ihnen die Meinung zu geigen. Ihnen in die Fresse zu treten. Sie zu töten. Aber ich konnte warten. Ich hatte den längeren Atem. Am Schluss sah ich meinen Vater tot und meine Mutter komplett abgedriftet. Meine Rache dafür, dass sie mich allein gelassen hatten. Es gab da nur ein Problem. Sie waren nicht mehr da. So wie sich auch Jan kaum mehr auf dieses Spiel einlassen wollte und sich hinter seiner Glätte verbarg. Er gab mir keine Angriffsfläche mehr. Aber es ist nicht aller Tage Abend. Ich liege mit angehaltenem Atem auf der Lauer. Seit damals konnte ich jemanden, der mir Gutes tun wollte, nicht mehr ernst nehmen. Oder noch mehr: ich verachtete ihn, da er mir die Chance nahm, gegen ihn zu wüten. Mir das Gefühl nahm, etwas von ihm bekommen zu können, nämlich die Möglichkeit ihn umzubringen.

Noch das Allerschlimmste kann, lässt man es lediglich als obskures Phänomen gelten und ausschließlich als solches auf sich wirken, belächelt werden. Damit kam ich ganz gut durch meine Kindheit und ertrug selbst Sie, Frau Kommissarin.


Die Kost der Nadelspitzen 30 © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )

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