Dienstag, 16. Februar 2010

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Essen klebte stets am Hexenhaus. Hatte ich die Verstecke gefunden u. die Plätzchen und Schokolade in den Mund gesteckt, ließ die Hexe nicht lange auf sich warten. Das Haus im Wald war kein Idyll. Das Haus der Süße lud auf fatale Weise ein zu bleiben. Meine Eltern karrten mich ins Krankenhaus, der Hexenhauszentrale, in der nur noch vereinzelt in den Zimmern Plätzchen und Schokolade lagen. Die gehörten aber den alten Leuten. Vater, oder war es Mutter, vermutete, ich hätte Zucker. Später drohe, laut meiner Mutter, oder war es Vater, der Infarkt oder zumindest dieser seltsame Hexenname Diabetes. Im Sommer flog die Hexe Diabetes über den Pudding mit den Erdbeeren. Im Dezember krächzte sie ihren Hohn zwischen der Marzipan- und der Lebkuchenschicht der Dominosteine des heiligen Niklaus hervor. Mutter und Vater schauten streng und gewichtig u. wären sie ein Comic gewesen, hätten in ihren Sprechblasen dicke Fragezeichen, Ausrufezeichen, Totenköpfe und Insekten gestanden. Mutter, die ihr Leben lang kränkelte, sagte immer, Gesundheit ist das wichtigste. Mein Vater, der nie, wie er stolz behauptete, krank gewesen war, bis er dann doch am Krebs starb, sagte dazu nichts. Aber ich würde heute sagen, für ihn war Krankheit Sünde. Deshalb schaute er mich böse an, wenn ich krank war. Oder hielt ihn das nur vom Zeitungslesen ab? Oder hätte er einmal zugeben müssen, dass Mutter besser Bescheid wusste. Aber was sage ich da? Ich hatte als Kind weder Zucker noch Diabetes. Aber immer Angst vor dem Krankenhaus. Nie vor dem Hexenhaus. Denn Märchen erzählte Vater, oder war es Mutter, nicht. Die seien zu grausam u. nichts für Kinder. Oder reime ich mir die Erklärung dazu? Jetzt in meinem hohen Alter. Sei es, wie es gewesen sei. Jedenfalls erzählte Mutter, oder war es Vater, keine Märchen. Aber sie fuhren mich ins Krankenhaus. Das weiß ich sicher.


Die Kost der Nadelspitzen 5 © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )

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