Dienstag, 16. Februar 2010

17

Mutter sei, als sie mit mir schwanger ging, beinahe gestorben. Auch habe sie sich der Schwangerschaft geschämt. Auch habe sie sich der Tatsache geschämt, dass sie während der Schwangerschaft nicht gestorben sei. Überhaupt habe sie sich meiner geschämt. Sie habe geglaubt, dass wir beide besser dran gewesen wären, wären wir gestorben. Deshalb habe sie die bitteren Pillen genommen. Deshalb habe sie Angst gehabt. Angst gehabt, dass ich wieder aus dem Krankenhaus nach Hause käme. Sagte mir Astrid in einer gehässigen Stunde. Vaters bittere Moral erklärte sie mir nicht. Dazu war die Stunde wohl nicht gehässig genug, Frau Kommissarin. Ich entgegnete ihr, dass es mir sicherlich im Krankenhaus gut gegangen sei. Dass mich die Krankenschwestern gewiss verwöhnt hatten, ich ihr Liebling gewesen sei, dass ich ja sowieso ein Glückskind sei. Von dem Vogel, der nachts kam u. sich an meiner Kehle festkrallte, sagte ich nichts, wie ich nichts sagte, wenn mir dadurch die Kehle weh tat u. ich beim Schlucken Schmerzen hatte. Ich saß brav am Esstisch u. aß mein Essen und sah Astrid dabei nicht an. Sah niemanden an. Hörte nur Vaters Schmatzen, der sich das Fett, das niemand wollte, von den Fingern leckte, auch dann noch, wenn Mutter schon rauchte u. den Rauch ausblies, als sei er ihre Seele.


Die Kost der Nadelspitzen 17 © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )

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