Dienstag, 16. Februar 2010

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LA NOURRICE: Où as-tu mal?

ANTIGONE : Nulle part, nounou. Mais fais-mois tout de même bien chaud comme lorsque j’étais malade … Nounou plus forte que la fièvre, nounou plus forte que le cauchemar, plus forte que l’ombre de l’armoire qui ricane et se transforme d’heure en heure sur le mur, plus forte que les mille insectes du silence qui rongent quelque chose, quelque part dans la nuit, plus forte que la nuit elle-même avec son hululement de folle qu’on n’entend pas ; nounou plus forte que la mort. Donne-moi ta main comme lorsque tu restais à côté de mon lit.

Jean Anouilh. Antigone


Ich rauche. Du solltest nicht rauchen! Warum? Weil es ungesund ist! Das Leben ist an sich ungesund. Einmal, da gab es Wesen, die waren gesund und glücklich, doch dann kam eine Krankheit, eine Art Krebs, über sie und sie waren fortan gezwungen, sich zu lösen, sich zu lieben und zu sterben. Wem eines davon oder gar alle drei misslangen, erfuhr, was es heißt, in diesem allgemeinen Unglück unglücklich zu sein.

Als Kind und lange danach habe ich mich als Glückskind gesehen. Auf die Frage, um wie viel Uhr ich denn geboren sei, hatte meine Mutter, die wie üblich mit Pillen zugedröhnt war, ausweichend geantwortet, sie wisse es nicht genau, aber es sei irgendwann am späten Nachmittag oder frühen Abend gewesen. Also beschloss ich, dass es halb sieben gewesen war. Um diese Zeit hatten früher die Vorabendserien angefangen. Ich dachte, das ist genau der richtige Zeitpunkt für ein Glückskind. Pünktlich zu Beginn der Vorabendserie, zu Beginn des richtigen Lebens, wie ich lange glaubte, das schien mir ein glücklicher Moment eines Lebensanfangs zu sein. Außerdem konnte ich so die immer wiederkehrenden Fragen der Astrologiewütigen nach meiner Geburtsstunde beantworten. Sie nervten nicht mehr, gaben mir aber ellenlange Auszüge aus Horoskopen, in denen genau stand, wer ich war, wer ich bin und wer ich sein werde. Da ich lange entscheidungsfreudig gewesen war, entschied ich, dass das, was darin stand, dasjenige ist, was auf mein Leben zutrifft. Ich war fortan nicht mehr gezwungen, darüber nachzudenken, und hatte somit hinreichende Antworten auf die lästige Frage, wer ich denn sei. Diese Frage war mir folglich früher nie ein Problem gewesen. Wer soll ich denn schon sein. Ich bin ich. Ich bin der, der ich bin. So einfach war das. Und ich bin hier. Und ihr nicht. Also, da eure Fragen jetzt hinlänglich beantwortet sind, kommt endlich her. Ihr wisst ja jetzt, wer ich bin. Und klingen, sagt, die Antworten nicht interessant. Oder muss ich euch erst erschaffen? So sprach ich mit mir selbst u. stellte mir vor, ich sei ein anderer. Und weil das so oft gelang, das Erschaffen und das Ein-anderer-sein, empfand ich mich als noch glücklicher u. sah meine Kindheit im Zeichen des reinsten Glücks. Es war ja alles da gewesen. Es waren ja alle da gewesen.


Die Kost der Nadelspitzen 1 © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )

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